Critical Incidents

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Unter einem Critical Incident (CI) wird eine zwischen Angehörigen unterschiedlicher (National-) Kulturen auftretende ‚kritische Interaktionssituation‘ verstanden. Diese dokumentiert in Form von Anekdoten oder Fallstudien spezifische Missverständnis-Situationen, in denen die TeilhaberInnen jener Kulturen in Kontakt treten. Solche CIs finden bevorzugt in interkulturellen Trainings Anwendung, wo sie als Analyse- und Lernmaterial für interkulturelle Probleme beliebt sind.


Konzept

Der Untersuchung kritischer Interaktionssituationen liegt die Thesis zugrunde, dass es kulturspezifische Handlungsweisen gibt, die sich von denen anderer Kulturen mehr oder weniger stark unterscheiden. Treten Angehörige dieser Kulturen miteinander in Kontakt, ohne sich der unterschiedlichen Gewohnheiten bewusst zu sein, kann es zu Irritationen, Missverständnissen oder gar Konflikten kommen. In dem Fall spricht man von einem CI. Diese Herangehensweise basiert auf der Annahme, dass die interkulturellen Begegnungssituationen von den beteiligten Personen unterschiedlich gedeutet werden, da sie ihre Reaktionen an den ihnen jeweils bekannten Orientierungsmerkmalen ausrichten. Diese ,Deutungsanker' werden vom Organisationspsychologen Alexander Thomas als ‚Kulturstandards‘ bezeichnet, welche die zentralen Kennzeichen einer (National-) Kultur abbilden und von dieser als normal und verbindlich angesehen werden. Laut Thomas sind damit aus der Außenperspektive einer Kultur Rückschlüsse darauf möglich, was in dieser als normal empfunden wird. Das Prekäre an einer solchen interkulturellen Situation besteht an der Stelle darin, dass das eigene kulturelle Verhalten von Angehörigen einer Kultur selbst nicht reflektiert werden kann, da es intuitiv abläuft.

Entstehung und Verbreitung des Begriffs

Gewinnung von CIs

Häufig findet eine Gewinnung kritischer Interaktionssituationen im Kontext von Fach- und Führungskräften statt. Für die Erhebung baut man auf Erfahrung und Erlebnisse von Individuen. Ausgangspunkt der Untersuchungen bilden hier problemzentrierte Interviews, mit deren Hilfe kritische Interaktionssituationen aus interkulturellen Kontexten identifiziert werden. So werden bspw. Personen befragt, die ihren CI im Ausland erlebt haben. Das gesamte Verfahren der CI-Gewinnung kann in folgenden vier Phasen verlaufen:

  1. Befragt werden Personen nach erlebten kritischen Interaktionssituationen per Interview oder in Gruppendiskussionen. Die Erzählungen werden verschriftlicht.
  2. Muttersprachliche ExpertInnen aus beiden Kulturen beurteilen die CIs, das Material wird eingehend analysiert und die gesammelten Incidents werden auf Wahrscheinlichkeit sowie Beispielhaftigkeit gesichtet.
  3. Zu jedem CI geben die ExpertInnen eine eigene Erklärung. Man kontextualisiert die Analysen im allgemeinen kulturellen Zusammenhang und verbindet sie mit kulturhistorischen Erkenntnissen. Anschließend werden die CIs mit den Analysen versehen.
  4. Aus den Reaktionen werden Leitfragen entwickelt, welche die ExpertInnen wiederum beurteilen. Zuletzt findet eine Kategorisierung und Systematisierung der CIs statt.

Kriterien

Kritische Interaktionssituationen zeichnen sich durch folgende Kriterien aus:

  • Sie sind alltäglich, wiederkehrend, authentisch und damit typisch für Interaktionen von Personen aus den beiden beteiligten Kulturen.
  • Sie sind für die Interaktionspartner relevant.
  • Sie verlaufen nicht erwartungsgemäß (negativ/positiv), sondern werden als überraschend, unverständlich oder konflikthaft erlebt.
  • Sie können mit ausreichendem kulturellen Hintergrundwissen plausibel gedeutet werden.

Verwendung in der interkulturellen Trainingspraxis

Für interkulturelle Trainings im engeren Sinn der Methodenlandkarte werden CIs den Übungstypen zugeordnet, die in methodisch distributiven Kontexten Anwendung finden und Interkulturalität thematisieren. Das Lernziel besteht darin, Besonderheiten und Herausforderungen interkulturellen Handelns zu verstehen sowie Unsicherheits- und Missverständnisbedingungen reflektieren zu können.

Zu den bekanntesten und heute immer noch am meisten verwendeten Trainingstypen zur Thematisierung von Interkulturalität zählt der Culture Assimilator, dessen in den 70er Jahren in den USA entwickelte Methode im deutschsprachigen Raum vor allem durch Alexander Thomas Verbreitung fand. Im Mittelpunkt dieser Übung steht die Darstellung einer kritischen Interaktionssituation, die zwischen Angehörigen unterschiedlicher (National-) Kulturen aufgetreten ist. Die Analyse erfolgt nach einem Multiple-Choice-Verfahren, in dem den Trainees verschiedene Lösungsmöglichkeiten angeboten werden, bevor der CI auf einen konkreten Kulturstandard als Erklärung für das Missverständnis zurückgeführt wird.

Chancen und kritische Betrachtung

Educast zu CIs/ Culture Assimilator

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Weiterführende Literatur

Quellenangaben

  • Bolten, J. (2015). Einführung in die interkulturelle Wirtschaftskommunikation. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Lüsebrink, H.J. (2016). Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer. 4. Aufl. Stuttgart: J.B. Metzler.
  • Weidemann, A., Straub, J. & S. Nothnagel (2010). Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz? Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung. Bielefeld: transcript Verlag.