Linguistic Awareness of Cultures (LAC)
Linguistic Awareness of Cultures (LAC) ist eine Methode für den Einsatz in interkulturellen Trainings, in denen die sprachlich-kommunikative Dimension interkultureller Interaktionsprobleme bearbeitet werden soll. Sie wurde vom Bayreuther Professor Bernd Müller-Jacquier entwickelt und 2000 als „Linguistic Awareness of Cultures. Grundlagen eines Trainingsmoduls“ veröffentlicht. Die Bezeichnung LAC wählte Müller-Jacquier bewusst in Anlehnung an so genannte Culture Awareness Trainings, die allerdings zumeist keine linguistische Analyse beinhalten.
Die Methode baut auf einem zehnteiligen linguistischen Kategoriensystem auf, das es erlaubt interkulturelle Situationen systematisch zu analysieren, Grundprinzipien der Kommunikation zu verstehen und so die Reflexionsfähigkeit in Trainings zu entwickeln.
Konventionen in der Kommunikation sind sprach- und kulturspezifisch, weshalb eine systematische Hypothesenbildung zu möglichen Attributionen seitens der Interaktionspartner zum Verständnis beitragen kann. LAC ist in diesem Sinne ein konzeptuelles Werkzeug für die differenzierte Analyse sprachlichen Handelns. Müller-Jacquier definiert linguistic awareness so:
"Linguistic awareness of cultures means the following: All cultural differences are „hidden“ in linguistic manifestations. These expressions of cultural difference are found in all languages and they can be classified in different grammatical and lexical categories or even be expressed non verbally. [...] This further means, that there is a source of mutual misunderstandings, if these linguistic indicators or manifestations are not perceived by the interactors."
Wissenschaftsgeschichtlich lässt sich die Ausarbeitung von LAC in die pragmatische Ausrichtung der Sprachwissenschaft nach dem Linguistic turn einordnen.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Seit den späten 1970er Jahren wurde der Bedarf an interkulturell ausgerichteten Lehrbüchern in der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache von Praktikern wie Müller-Jacquier benannt. 1984 veröffentlichte Müller-Jacquier zusammen mit Martin Hog und Gerd Wessling das Sprachlernbuch „Sichtwechsel“ das eine „wichtige Innovation“ im Bereich der DaF-Lehrbücher darstellte und in der Entwicklung eines interkulturellen DaF-Unterrichts ein Meilenstein war.
Im Bereich der interkulturellen Trainings wurde ebenfalls bemerkt, dass bei interkulturellen Kommunikationsproblemen der Grund nicht ausschließlich in differierenden Werte-Orientierungen bzw. individuellen Besonderheiten der Interaktionspartner zu suchen sei, wie es häufig der Fall war und noch immer ist. Nach Müller-Jacquier war es für die Entwicklung von Lösungen für interkulturelle Kommunikationsprobleme notwendig, die „ zugrunde liegenden verbalen und nonverbalen Interaktionshandlungen“ zu dokumentieren und mit linguistischen Instrumenten zu analysieren, da oft vorschnelle Schlussfolgerungen gezogen würden. Dies ist auch als Schwäche verschiedener anderer Methoden zu benennen, die auf die „situative Handlungsattribution“ von Berichtenden (critical incidents) vertrauen, die aber bekanntermaßen durch die eigenkulturelle Perspektive nicht korrekt erfolgen kann.
Da der Zugang zu Trainingsmethoden im interkulturellen Bereich meist aus dem sozialpsychologischen, pädagogischen, kulturanthropologischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Ansatz erfolgte und bis heute erfolgt, stellt diese linguistisch fundierte Herangehensweise einen zusätzlichen Baustein in der Analyse komplexer Interaktionsprozesse dar. Müller-Jacquier bezeichnet LAC als das Resultat einer „ethnomethodologischen-kommunikationswissenschaftlichen Rekonstruktion von Handlungsintentionen“ .
Konzept
Müller-Jacquier definiert selbst keinen Kulturbegriff , rekurriert aber auf das diskursanalytische Verständnis von Kultur als ein Bedeutungssystem, das erst in der Interaktion konstituiert wird. Im Fokus steht die durch kommunikatives Handeln immer wieder neu erschaffene Inter-Kultur, die auf wechselseitigen Aktionen, Reaktionen und Re-Reaktionen beruht.
Somit ist LAC ein Trainingstyp, der zwar kulturspezifisch einsetzbar ist, jedoch eine grundlegende Methodik darstellt, die verschiedenen Kulturbegriffen angepasst werden kann. Im Fokus steht dabei immer die in konkreten Gesprächssituationen produzierte Inter-Kultur. Die Verengung auf generalisierende Interpretationen in Richtung nationalkultureller Spezifika ist nicht gewollt und auch nicht möglich.
Das Verfahren ist auf kognitives Lernen und Bearbeiten von kritischen Interaktionssituationen ausgerichtet. Gemäß diesem Ansatz ist die Arbeit mit LAC kollaborativ zu gestalten, die Erfahrungen der TN sollen unbedingt eingebunden werden. Das von Müller-Jacquier entworfene Trainingskonzept lässt sich sowohl kulturspezifisch als auch kulturübergreifend anwenden, da es einen differenzierten Blick auf sprachliches Handeln erlaubt.
Lernziel
Linguistisch ausgerichtete Trainingskonzepte wie auch LAC haben zumeist das Ziel die intuitiv ablaufenden Zuschreibungsprozesse zu suspendieren. Das bei fast allen Menschen automatisch ablaufende Zuordnen von Ursache und Wirkung (Attribution) und das unbewusst gesteuerte (intuitive) Reagieren darauf soll ausgesetzt oder zumindest verzögert werden, sodass ein reflektiertes, bewusstes Steuern der Reaktion möglich wird. Dieses meta-kommunikative Vermögen wird auch Monitoring-Effekt genannt, ein Ziel, dass bei Muttersprachlern erreicht werden soll und dem der Fremdsprachenlernenden gleicht.
Neben der Suspendierung von Attribution soll also eine möglichst genaue Unterscheidungsfähigkeit (Diskrimination) für kommunikatives Handeln entwickelt werden. Eine Fähigkeit, die Menschen gerade nicht in die Wiege gelegt ist.
Mittels des LAC-Rasters, dessen zehn Kriterien kulturspezifischen Ausprägungen (Konventionalisierung) auf sprachlicher wie nicht-sprachlicher Ebene unterliegen, soll diese Unterscheidungsfähigkeit geschult werden und damit die Ambiguitätstoleranz gesteigert werden.
Zielgruppen und Einsatzmöglichkeiten
LAC-Trainingsmodulen können eingesetzt bzw. eingebunden werden:
- in verschiedene methodische Arbeiten mit critical incidents
- ergänzend in Culture-Awareness-Trainings
- bei vorbereitenden Maßnahmen zum bi- oder multikulturellen Teambuilding zur Sensibilisierung für kommunikative Interaktionsprozesse
- in den handlungsbezogener Fremdsprachenunterricht
Somit lässt sich LAC in sehr vielen interkulturellen Trainings einsetzen. Besonders hilfreich kann der Einsatz in Trainings für TN sein, die in folgenden Bereichen involviert sind:
- Behördenkommunikation
- internationale Geschäftskontakte
- Erlernen von Fremdsprachen
Vorkenntnisse oder -erfahrungen sind nicht erforderlich, jedoch ist ein gewisser vorhandener Erfahrungsschatz mit interkulturellen Begegnungen unter den TN wünschenswert.
Praktische Umsetzung von LAC
Eine ausführliche Darstellung und Anleitung zum Ablauf von LAC-Modulen gibt Müller-Jacquier selbst. Wie auch der Culture Assimilator arbeitet LAC mit so genannten critical incidents. Dies kann in Form von vorhandenen Trainings- oder Lehrfilmen geschehen und/oder schriftlichen Transkriptionen, die aus authentischen Situationen aus dem Umfeld der Trainingsteilnehmenden stammen oder fiktiv sein können. Hilfreich ist es verschiedene Konstellationen darzustellen.
Die Trainerin weist zu Beginn des Moduls auf das angestrebte Ziel hin, erläutert die Komplementarität des LAC-Ansatzes im Hinblick auf z.B. auf die Erarbeitung von zentralen Kulturstandards oder anderen psychologisch orientierten Ansätzen und präsentiert das ausgewählte Fallbeispiel. Wichtig ist, dass der Trainer darauf hinweist, dass die Beispiele Kontrastbeispiele sind und keine verallgemeinernden Schlüsse in Bezug auf alle Mitglieder der einen oder anderen Kultur zulassen. Danach sammelt die Gruppe verschiedene metakommunikative Hypothesen.
Anschließend präsentiert der Trainer das Rasterschema der Analysekriterien, die nun „gefüllt“ werden. Die Kategorien werden schrittweise mit den TN eines Trainings erarbeitet, in dem das Schema der Analysekriterien ohne Kommentar vorgegeben wird. Die Einzelkriterien werden dann in beliebiger Reihenfolge durch Beispiel des Trainers und der TN mit Fallbeispielen illustriert, ergänzt und analysiert. Möglichkeiten dazu sind interaktiver Vortrag, Gruppenarbeit und Selbstlernphasen. Ziel ist es das Analyseverfahren zu festigen, weshalb das Analysieren verschiedener kritischer Interaktionssituationen empfohlen wird.
Abschließend werden in einer Plenumsdiskussion die Erklärungshypothesen auf ihre Plausibilität geprüft, jedoch geht es nicht darum, eine einzige Hypothese als „richtige“ zu markieren. Sinnvoll ist es hingegen, in der interkulturellen Kommunikation möglichst lange mehrere Hypothesen für die Gründe von Missverständnissen gleichwertig aufrecht zu halten, da sich plausible Ursachen meist im Laufe der Interaktion herauskristallisieren.
Es kommen zwei wesentliche Schritte zum Einsatz
- Diskrimination der kommunikativen Handlungen – es soll gelernt werden, die Gründe für ein fremd erscheinendes Verhalten in unbekannten Kommunikationsregeln zu suchen, indem diese erkannt werden
- Suspendierung der Attribution – die Reaktion des Gegenübers wird nicht in erster Linie auf fremde kulturspezifische Wertorientierung zurückgeführt
Das Mittel zum Zweck ist das Raster zur Analyse sprach- und kulturspezifischer Interaktionskonventionen. Es enthält die folgenden zehn Kriterien:
- soziale Bedeutungen/Lexikon
- Sprechhandlungen und Sprechhandlungssequenzen
- Gesprächsorganisation: Konventionen des Diskursablaufs
- Themen
- Direktheit/Indirektheit
- Register
- Paraverbale Faktoren
- Nonverbale Faktoren
- Kulturspezifische Handlungen (Rituale) und Handlungssequenzen
- Kulturstandards, spezifische Wertorientierungen
Nähere Erläuterungen und Beispiel für die erste Kategorie
Die soziale Bedeutung (Lexikon) eines Wortes ist variabel, je nach Kontext und Intention des Verwenders. Gesprächspartner müssen sich also fragen, ob ihr Verständnis des jeweiligen Ausdrucks dem ihres Gegenübers entspricht oder ob die Vorstellungen auseinander gehen. Worte evozieren Assoziationen, welche kulturspezifisch (wenn nicht sogar individuell) sind (was besonders auch Übersetzerinnen und Dolmetscher in ihrer Arbeit vor große Herausforderungen stellt). Ein Beispiel dafür ist der Begriff KONZEPT-CONCEPT, der regelmäßig in Planungstreffen zwischen deutschen und französischen Geschäftspartner zu Missverständnissen führt, da unter Konzept in Deutschland ein ausgearbeiteter Plan verstanden wird, in Frankreich dagegen ein skizzenhafte Ideensammlung gemeint ist. Die Kulturspezifik von Assoziationen bestimmter Wörter wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Experimenten untersucht z.B. von Roche/Roussy-Parent 2006.
Kritische Würdigung
Mit LAC lassen sich interkulturelle Interaktionen differenziert analysieren. Durch den zu anderen Methoden komplementären Ansatz kann mit LAC sprachliches Handeln in seiner Komplexität umfassend erfasst werden und bietet zudem vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Im Fremdsprachenunterricht bzw. interkulturellen Trainings mit linguistischer Ausrichtung kann LAC eine Brückenfunktion zwischen Spracherwerb und interkultureller Sensibilisierung übernehmen. Sinnvoll ist der Einsatz in einer länger dauernden Ausbildung z.B. im Rahmen eines Hochschulstudiums oder in Beratungen.
Die Arbeit mit LAC erfordert wie alle gesprächsanalytisch basierten Trainingsmethoden mehr Zeit als in der Praxis meist für interkulturelle Trainings zur Verfügung steht. Der hohe zeitliche Aufwand liegt vor allem in der aufwendigen Datensammlung, deren Aufbereitung und Analyse in der Vorbereitung eines Trainings oder einer Schulung begründet, auch in der Realisierung selbst muss viel Zeit für die Analyse eingeplant werden. Evaluierungen von LAC liegen bislang nur in geringem Umfang vor.
In der Diskursforschung bestehen Zweifel, ob sich kommunikatives Handeln allein durch Reflexion und Schulung verändern lässt. Menschliche Kommunikation ist Routinehandeln, dass sich dementsprechend nur durch die Aneignung neuer Routinen ändern lässt, was wiederum zumindest zeitintensiv wenn nicht sogar psychologisch hochkomplex ist. Diese Frage betrifft aber die Methoden interkultureller Trainings allgemein. Ähnlich verhält es sich mit der Kritik ob die reale Komplexität interkultureller Interaktionen sich in Training überhaupt abbilden oder reproduzieren lässt.
Fazit
LAC eröffnet Möglichkeiten zur differenzierten Erfassung interkultureller Interaktionen, ist aber für Trainerinnen und Trainer eine didaktische Herausforderung.
Einzelnachweise
Literatur
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Müller-Jacquier, Bernd (2007): Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung. Fernstudieneinheit 8. 6. Dr. Berlin: Langenscheidt (Fernstudenprojekt zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Germanistik und Deutsch als Fremdsprache. Fernstudieneinheit, 8).
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Weblinks
Darstellung LAC in Englisch: http://www.intergerm.uni-bayreuth.de/de/publications/2003/Linguistic_Awareness_of_Cultures/Linguistic_Awareness_engl_version_M-J_2003.pdf
Ausführliche Präsentation u.a. zu LAC: http://ff.ujep.cz/files/kger/konference/Muller-Jaquier.pdf
Publikationen von Bernd Müller-Jacquier: http://www.intergerm.uni-bayreuth.de/de/team/ehemalige/Mueller-Jacquier_Bernd/index.html