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Version vom 14. Oktober 2014, 13:16 Uhr
Bei einem Culture Assimilator (Kulturassimilator) (französisch assimilation ‚Angleichung‘) handelt es sich um eine aus dem amerikanischen Raum stammende Methode interkultureller Trainings. Sie wurde in den sechziger Jahren an der Universität Illinois entwickelt, um die Kommunikation in kulturell heterogenen Arbeitsgruppen zu verbessern. Genutzt wurden Kulturassimilatoren anfangs vor allem, um US-amerikanische Armeeoffiziere auf Auslandseinsätze vorzubereiten. Weitere Zielgruppen waren weiße Amerikaner der Mittelschicht, z.B. Lehrer, die mit verschiedenen ethnischen Minderheiten arbeiteten. In Deutschland wurde die Methode Anfang der neunziger Jahre u.a. von Alexander Thomas eingeführt.
Inhaltsverzeichnis
Theoretisches Fundament
Die Methode gehört zu den didaktischen bzw. trainerorientierten kognitiven Trainings und basiert auf der behavioristischen Lerntheorie sowie auf der Grundlage des programmierten Lernens. Lernende können sich die Inhalte selbstständig anhand schriftlicher oder digitaler Trainingsmaterialien erarbeiten. Außerdem kann die Methode in einem interkulturellen Gruppentraining, das von einem Trainer angeleitet wird, eingesetzt werden. Anfangs wurden ausschließlich kulturspezifische Kulturassimilatoren entwickelt, um Mitglieder einer bestimmten Ausgangskultur auf die Kommunikation und Interaktion mit bestimmten kulturellen Gruppen einer Zielkultur vorzubereiten. Mittlerweile existieren auch kulturübergreifende Formen dieser Methode, die generelle kulturelle Unterschiede in der Kommunikation oder die kulturelle Anpassung in einer Vielzahl von Kulturen thematisieren. Ein Culture Assimilator basiert auf dem Grundsatz, dass interkulturelle Missverständnisse nicht auf unterschiedliche Verhaltensweisen zurückzuführen sind, sondern aufgrund verschiedener kultureller Interpretationsmuster entstehen. Ausgangspunkt der Methode sind die sogenannten Critical Incidents (kritische Interaktionssituationen), die im Kontext einer Interaktion zwischen Mitgliedern zweier Kulturen auftreten können. Dabei handelt es sich um konfliktreiche, verwirrende oder missverständliche Situationen, die es den Beteiligten unmöglich machen, die Interaktion erfolgreich zu Ende zu bringen.
Inhalt und Aufbau
Die inhaltliche Ausrichtung der Methode richtet sich nach verschiedenen Bedingungsfaktoren und wird auf den Lehr-/Lernkontext und die Zielgruppe angepasst. Das Training teilt sich anhand von Kulturstandards in verschiedene Themenbereiche, denen jeweils mehrere nach Schwierigkeit geordnete Critical Incidents bzw. Fallbeispiele zugeordnet sind. In jedem Fallbeispiel werden vier mögliche Ursachen für das Verhalten des Mitglieds der Zielkultur vorgeschlagen. Der Lernende muss sich entscheiden, welche Alternative er für am meisten plausibel hält. In neueren Culture Assimilators muss jede Möglichkeit auf einer Skala von sehr zutreffend bis nicht zutreffend bewertet werden. Danach wird jede Antwortalternative einzeln erläutert. Meist entspricht eine Alternative der in der Zielkultur vorherrschenden dominanten Interpretation der Situation. Die anderen zeigen entweder weitere mögliche Reaktionen der Zielkultur oder repräsentieren eine typische Fehlinterpretation der Ausgangskultur. Anschließend werden Hintergrundinformationen geliefert und es wird beschrieben, wie ein sinnvolles Verhalten in der geschilderten Situation aussehen kann. Nachdem der Lernende mehrere Fallbeispiele eines Themenkomplexes bearbeitet hat, werden Informationen zu den zu Grunde liegenden Kulturstandards und ihrer kulturhistorischen Verankerung gegeben.
Da die Methode immer die Perspektive einer Ausgangs- und einer Zielkultur einbezieht, muss sowohl für jeden bikulturellen Kontext als auch für jede der beiden beteiligten kulturellen Perspektiven ein spezifischer Culture Assimilator entwickelt werden.
Lernziele
Obwohl der Culture-Assimilator-Ansatz primär eine kognitive Methode des interkulturellen Trainings ist, besteht die Annahme, dass damit interkulturelles Lernen ebenfalls auf der affektiven und auf der behavioralen Ebene beeinflusst werden kann und es so zu einer Steigerung der interkulturellen Kompetenz des Lernenden kommt. Im Einzelnen sollen auf den verschiedenen Ebenen je nach Lernkontext und Zielgruppe u.a. folgende Lernziele erreicht werden:
Kognitive Ebene
- Wissenserwerb über Elemente der Zielkultur sowie Verinnerlichung und Anwendung des erworbenen Wissens
- Fähigkeit, eine Situation aus der Perspektive der Zielkultur wahrnehmen zu können
- Entwicklung akkuraterer Erwartungen für die Interaktion mit Mitgliedern einer bestimmten Zielkultur
- Fähigkeit, isomorphe Attribuierungen vorzunehmen, also zu lernen wie die Mehrheit der Angehörigen einer bestimmten Zielkultur eine Situation oder ein Verhalten attribuieren (= deuten, eine Ursache zuschreiben)
- Reflexion der eigenkulturellen Prägung im Wahrnehmen, Denken und Handeln
Behaviorale Ebene
- Erweiterung eigener Handlungsschemata durch Anwendung kulturadäquater Strategien
- Handlungsfähigkeit in der Zielkultur und „kulturangepasstes“ Verhalten
Affektive Ebene
- Reduktion von Unsicherheit und Stress durch Kennenlernen konkreter Konfliktsituationen und das Verstehen fremdkultureller Handlungsmotive
- Entwicklung positiver Einstellungen zu den Angehörigen der Zielkultur
Zielgruppen
Der Culture-Assimilator-Ansatz ist für die Vorbereitung internationaler und intranationaler kultureller Begegnungen von Nutzen. Er eignet sich besonders für solche Zielgruppen, die in kurzer Zeit etwas über eine bestimmte Zielkultur erfahren wollen. Zudem bietet sich die Methode für Lernende mit wenig Auslandserfahrung an. Wichtige Zielgruppen sind Schüler und Studenten, Geschäftsleute, die auf eine Auslandsentsendung vorbereitet werden sollen, sowie in der Entwicklungszusammenarbeit tätige Personen.
Einsatz im interkulturellen Training
Es gibt verschiede Möglichkeiten, einen Culture Assimilator in einem durch einen Trainer angeleiteten interkulturellen Gruppentraining einzusetzen. Beispielsweise können einzelne Kapitel an die Teilnehmer verteilt werden, mit der Aufgabe, die kulturellen Themenkomplexe, die in den Fallbeispielen vorkommen, zu beschreiben. Dabei wird empfohlen, immer alle Kapitel einzubeziehen, um eine möglichst große Bandbreite an Verhaltensvariationen aufzuzeigen. Die Fallbeispiele können auch in Form von Rollenspielen eingesetzt werden, um den Teilnehmern zu ermöglichen, sich aktiv in die beschriebenen Fälle hineinzuversetzen. Verschiedene relevante Situationen, die mit dem Eintritt in die Zielkultur verbunden sind, können in einem Training simuliert werden und die Teilnehmer können so interaktiv und eventuell sogar erfahrungsbasiert lernen, was allerdings umstritten ist. Die Lerninhalte eines Culture Assimilators können in einem interkulturellen Training durch den Trainer kontextualisiert und aktualisiert werden. Zudem ist der Einsatz der Methode zeit- und kosteneffektiv. Mit wenig Aufwand kann sie meist innerhalb von wenigen Stunden durchgeführt werden, da die benötigten Materialien je nach Lernziel und Zielgruppe bereits existieren und mit anderen Methoden kombiniert werden können.
Kritische Betrachtung
Die Effektivität der Methode wurde in zahlreichen Studien empirisch überprüft. Lerneffekte wurden dabei vorwiegend im kognitiven Bereich festgestellt. So ist der Culture Assimilator vor allem bei der Vermittlung von Informationen über Kulturen effektiv. Kritisiert wird häufig, dass durch fehlende Lerneffekte auf der Verhaltensebene keine nachhaltige Lernerfahrung erreicht werden kann. Der Einsatz der Methode in interkulturellen Trainings ermöglicht zwar das Ausprobieren verschiedener Verhaltensweisen, es handelt sich dabei aber um Simulationen und nicht um reale Interaktionen mit Mitgliedern der Zielkultur. Hier muss berücksichtigt werden, dass nicht alle Teilnehmer in der Lage sind, sich in eine Simulation hineinzuversetzen. Die Bearbeitung eines Cultural Assimilators im Selbststudium hingegen trainiert keine mündlichen Fähigkeiten, die allerdings für die Interaktion mit einer fremden Kultur essentiell sind.
Ein großer Teil der Kritik bezieht sich auf das theoretische Fundament der Methode, also die Arbeit mit Critical Incidents. Die Auswahl dieser Situationen ist meist kontextbezogen und zudem handelt es sich um Einzelsituationen, die von bestimmten bikulturellen Experten interpretiert wurden. Es ist allerdings nicht offensichtlich, auf welche Stichprobe sich die in den vier Antwortalternativen angegebenen Prozentangaben konkret beziehen. Es werden verschiedene Interpretationsansätze aufgezeigt, am Ende gibt es aber meist eine Möglichkeit, die als am meisten plausibel hervorgehoben wird. Dadurch könnte leicht der Eindruck entstehen, dass es sich dabei um „die richtige“ Möglichkeit handelt. Die ausgewählten Situationen sind zudem ausschließlich konfliktreich, was den Eindruck erwecken könnte, dass in der Zielkultur nur Probleme auftauchen werden. Zwar sind Konfliktsituationen für das interkulturelle Training praktisch, da sie kulturelle Unterschiede illustrieren, Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen als positive Anknüpfungspunkte werden dabei allerdings außer Acht gelassen.
Ein eindeutiger Nachteil der Culture-Assimilator-Methode ist der hohe Zeitaufwand, der für ihre Erstellung aufgebracht werden muss. Zudem ist eine ständige Aktualisierung notwendig, da sich Kulturen verändern und die Beispiele einige Jahre später eventuell nicht mehr aktuell sind. In diesem Zusammenhang kann die Methode nur effektiv sein, wenn sie von Trainern eingesetzt wird, die auf Fragen der Teilnehmer flexibel reagieren und notwendige Kontextualisierungen und Aktualisierungen vornehmen können.
Insgesamt geht die Methode von einem geschlossenen Kulturbegriff aus, das heißt, dass Kultur als etwas Abgrenzbares, Homogenes verstanden wird. Dadurch wird vernachlässigt, dass es in jeder Kultur Individuen gibt, die von den dominanten Interpretationstendenzen ihrer Kultur abweichen. Ein unreflektierter und nicht ausreichend begleiteter Einsatz der Methode kann so Tendenzen zur Stereotypisierung bzw. Generalisierung fördern. Zudem bezieht sich der kulturspezifische Culture Assimilator immer auf ein bestimmtes Handlungsfeld, in dem auch nur bestimmte Missverständnisse erfasst werden. Reale Situationen in der Zielkultur sind allerdings nicht so leicht interpretierbar wie die Fallbeispiele, da meist viel mehr Einflussfaktoren wirken. Schließlich kann ein Culture Assimilator zu Über- bzw. Kontrakorrekturen führen und ruft so eventuell interkulturelle Konflikte hervor, anstatt sie zu verhindern.
Literatur
Junko Aoki: Effects of the Culture Assimilator on Cross-Cultural Understanding and Attitudes of College Students . JALT Journal, Vol. 14, No. 2, November 1992, S.107-125.
Rosita D. Albert: The Intercultural Sensitizer/Culture Assimilator as a Cross-Cultural Training Method. In: Sandra M. Fowler, Monica G. Mumford: Intercultural Sourcebook: Cross- Cultural Training Methods , Intercultural Press, Inc., Vol. 1, 1995, S. 157- 167.
Ann-Kristin Bannenberg: Die Bedeutung interkultureller Kommunikation in der Wirtschaft. Theoretische und empirische Erforschung von Bedarf und Praxis der interkulturellen Personalentwicklung anhand einiger deutscher Großunternehmen der Automobil- und Zuliefererindustrie , 2010.
Fred E. Fiedler, Terence Mitchell, Harry C. Triandis: The Culture Assimilator: An Approach to Cross- Cultural Training. Technical Report 70-5, 1970.
Christiane Kosowski: Methodenkurzdarstellung: Kulturassimilator. In: Gundula Gwenn Hiller, Stefanie Vogler-Lipp (Hrsg.): Schlüsselqualifikation interkulturelle Kompetenz an Hochschulen: Grundlagen, Konzepte, Methoden. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, S. 368-370.
Michaela Kovacova: Komparative Evaluation kulturspezifischer didaktischer und erfahrungsorientierter interkultureller Trainings . Lang, Frankfurt am Main 2010.
Ina Kristin Saure, Annika Tillmans, Alexander Thomas: Entwicklungszusammenarbeit in Indien. Trainingsprogramm für Fach- und Führungskräfte . Bautz, Nordhausen 2006.
Jonas Polfuß: Kritischer Kulturassimilator Deutschland für chinesische Teilnehmende. In: Interculture Journal. Heft 17, August 2012, S. 27-49.
Die Serie "Beruflich in...." des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht wurde von Alexander Thomas initiiert und basiert auf dem Culture-Assimilator-Konzept.
Einzelnachweise