Interkulturelle Fallstudien: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. Oktober 2014, 10:38 Uhr

Bei der Methode der interkulturellen Fallstudien werden Trainees mit einem realen Fall aus der Praxis konfrontiert, um daran beispielhaft kulturelle Differenzen, die in realen Interaktionssituationen aufgetreten sind, zu beschreiben und zu reflektieren . Sie können im Rahmen von interkulturellen Trainings oder ähnlichen Kontexten eingesetzt werden.

Beschreibung und Einsatz in interkulturellen Trainings

Fallstudien sind „eine – meist schriftliche – Darstellung einer realistischen Situation, die genügend Einzelheiten beinhaltet, um die Teilnehmer eines Trainingsprogramms in die Lage zu versetzen, die hier enthaltenen Probleme zu analysieren und mögliche Lösungen zu erarbeiten“ . Ein möglicher Ablauf für den Einsatz einer interkulturellen Fallstudie ist der folgende: Im ersten Schritt wird ein Fall präsentiert, was auf sehr unterschiedliche Weisen geschehen kann. Der Trainer kann einen schriftlichen Fall vorlesen oder den Teilnehmern direkt zur eigenen Lektüre austeilen, er kann aber auch verschiedene Medien nutzen und z.B. Folien oder ein Video zeigen, was den Fall authentischer erscheinen lässt . Anschließend können Fragen der Trainees geklärt werden, bevor die Fallstudie in der nächsten Phase in Gruppen bearbeitet wird. Hier werden Hypothesen hinsichtlich der Absichten und Wahrnehmungen der Personen sowie der Rahmenbedingungen in der Fallstudie aufgestellt . In der Fallstudie selbst werden oft bewusst bestimmte Informationen vorenthalten, um eine gewisse Offenheit herzustellen . Anschließend stellen die Gruppen den restlichen Teilnehmern ihre Analysen vor. Entscheidend ist das abschließende Debriefing : Im Plenum werden die unterschiedlichen Lösungsvorschläge gemeinsam verglichen und reflektiert, sodass noch einmal deutlich wird, dass es nicht eine einzige richtige Lösung gibt und unterschiedliche Perspektiven wertgeschätzt werden . Der Trainer hat während des Verlaufs der Fallstudienbearbeitung eine Reihe von Aufgaben: Er muss den Fall vorstellen und die Gruppen zu Beginn anleiten, Fragen beantworten, Stereotypisierung vermeiden etc. .

Lernziel und Zielgruppe

Wie bereits beschrieben dient der Einsatz von interkulturellen Fallstudien allgemein der Sensibilisierung für kulturelle Differenzen und der Reflektion der Implikationen der eigenen Gefühle, Verhaltensweisen, kulturellen Merkmale etc. . Durch die Fallstudie wird eine einigermaßen authentische Situation bearbeitet; durch die Arbeit mit ihr soll schlussendlich interkulturelle Handlungskompetenz vermittelt werden . Diese Methode spricht primär die kognitive Ebene an und zielt u.a. darauf ab, interkulturelle Situationen zu analysieren, diese in Teams zu bearbeiten und die eigenen Einstellungen und die anderer Teilnehmer zu reflektieren . Dabei werden auch Schlüsselqualifikationen wie Problemlösefähigkeit, Kreativität und Teamfähigkeit trainiert . Entscheidend sind in jedem Fall bei der Bearbeitung nicht die (multiplen) Lösungen, sondern der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Fall .

Hinsichtlich des Lernziels können die Fallstudien einerseits kulturspezifisch sein, d.h. sie können den Fokus auf eine bestimmte Kultur legen, oder sie sind kulturübergreifend, können also zur allgemeinen Sensibilisierung und „Awareness“ bzw. Bewusstsein dienen . Je nach Art des Falls ergeben sich so auch unterschiedliche Vor- und Nachteile (siehe unten).

Da die Arbeit mit Fallstudien recht komplex ist und viel Reflektion und selbständiges Arbeiten erfordert, eignet sich die Methodik eher für eine ältere Zielgruppe ab dem Studierendenalter. Im besten Fall kennen die Trainees Fallstudien aus anderen Schulungen oder Trainings. Außerdem arbeiten idealerweise heterogene Teams an der Fallstudie, sodass durch bi- bzw. multikulturelle Gruppen während der Bearbeitung sogar Interkulturalität generiert werden kann . Dies macht den Verlauf möglicherweise komplizierter, bereichert aber auch die Erfahrungsvielfalt und Kreativität .

Einordnung und Abgrenzung

In der Methodenlandkarte wird interkulturelle Fallstudienarbeit als interkulturell und „learning by interacting“ eingeordnet. An sich wird die Methode zwar als informatorisch angesehen , doch bedingt die Aufgabe, sich in Kontakt mit anderen Personen mit dem präsentierten Fall auseinander zu setzen . Wie bereits angedeutet, können Fallstudien entweder in einem kulturspezifischen oder in einem kulturübergreifenden Kontext genutzt werden; dies hängt von der spezifischen Zielstellung und -gruppe ab.

Abzugrenzen sind interkulturelle Fallstudien in ihrer Herangehensweise von zwei verwandten Methoden. Sie unterscheiden sich von Culture Assimilators darin, dass sie keine vorgegebene Lösung liefern, und von Critical Incidents insofern, als dass sie nicht nur kritische Situationen zwischen Kulturen fokussieren . Festzuhalten ist, dass der Begriff zuweilen auch anders verwendet wird und so interkulturelle Fallstudien teilweise auf solche mit kritischen Interaktionen beschränkt werden .

ABBILDUNG FOLGT

Quelle: Bolten, Jürgen. Jena: Friedrich-Schiller-Universität, 2014.

Vor- und Nachteile des Einsatzes von interkulturellen Fallstudien

Die Vor- und Nachteile der beschriebenen Methode hängen in hohem Maße davon ab, wie sie umgesetzt wird. Mit Multimedia-Einsatz und einer gemischten Zielgruppe und/oder einem Trainerpaar mit unterschiedlichen Hintergründen können die Fallstudien zum Beispiel authentischer werden und das Gelernte eher in den Alltag transferiert werden . Wichtig ist generell, dass die Fallstudie und das Lernziel an die Zielgruppe angepasst sind sowie interkulturell offen und ganzheitlich dargeboten werden .

Im Vergleich zu Critical Incidents haben Fallstudien den Vorteil, dass sie komplexer und neutraler sind, da es nicht um eine richtige oder falsche Lösung geht . Allgemeine Vorteile sind, dass mithilfe von Fallstudien die Theorie auf die Praxis angewandt werden kann und, wie bereits erwähnt, übergreifende Kompetenzen trainiert werden (s.o.). Basierend auf dem lernpsychologischen Ansatz des Konstruktivismus wird bei der Arbeit mit Fallstudien davon ausgegangen, dass die Trainees selbst aktiv werden und das Lernerlebnis so authentischer wird, was sich wiederum positiv auf ihre Motivation auswirkt .

Nachteilig können die möglicherweise fehlende Dynamik und Abgeschlossenheit einer Fallstudie sein, die dadurch an Authentizität verliert . Da Fallstudien zwingend die Realität vereinfachen, gilt es, stets zu beachten, dass Stereotypisierungen vermieden werden .

Wie bereits erwähnt, hängen die Chancen und Risiken interkultureller Fallstudien ebenfalls davon ab, ob sie kulturspezifisch oder kulturübergreifend sind. Sind sie kulturspezifisch, werden sie für die Teilnehmer relativ konkret und erleichtern den Transfer in eine reale Situation . Die Erklärung und Reflexion ist hier jedoch außerordentlich wichtig, da sonst das Risiko besteht, Stereotypen zu erschaffen oder zu festigen. Sind die Fallstudien dagegen kulturübergreifend, liegt der Fokus eher auf Selbsterfahrung und genereller Sensibilisierung. Diese Herangehensweise ermöglicht große Lerneffekte, wird zuweilen aber auch als recht abstrakt angesehen, da die Situationen weniger realitätsnah sind und den Zugang somit erschweren können . Diesem Effekt kann entgegen gewirkt werden, wenn Fallstudien in interkulturellen Teams bearbeitet werden. Der Einsatz von Fallstudien verliert hingegen z.B. an Effektivität, wenn die Fälle nicht an die Zielgruppe angepasst sind.

Einzelnachweise

Bannenberg, Ann-Kristin. Die Bedeutung interkultureller Kommunikation in der Wirtschaft: Theoretische und empirische Erforschung von Bedarf und Praxis der interkulturellen Personalentwicklung anhand einiger deutscher Großunternehmen der Automobil- und Zuliefererindustrie. Dissertation. Kassel: Kassel University Press, 2010.

Bolten, Jürgen. „Interkulturelle Personalentwicklungsmaßnahmen: Training, Coaching und Meditation“. Hrsg. Günther K. Stahl, Wolfgang Mayrhofer und Torsten M. Kühlmann. Internationales Personalmanagement: Neue Aufgaben, neue Lösungen. München: Hampp, 2005. n pag. 25.09.2014.

Eubel-Kasper, Karla. „Fallstudien als Vehikel für interkulturelles Lernen: Ein Praxisbeispiel“. Interkulturelle Kompetenz im Wandel 2: Ausbildung, Training und Beratung. Hrsg. Matthias Otten, Alexander Scheitza und Andrea Cnyrim. Berlin: Lit Verlag, 2009. 33-62.

Interculture TV. Youtube. „Übungstypen zum interkulturellen Lernen“, 29.08.2011. 12.09.2014.

Landis, Dan, Bennett, Janet M. und Milton J. Bennett (Hrsg). Handbook of Intercultural Training. Thousand Oaks: Sage, 2004.

O’Reilly, Claire. „Interkulturelles Training in Deutschland: Theoretische Grundlagen und Zukunftsperspektiven“. Hrsg. Claire O’Reilly und Maik Arnold. Interkulturelles Training in Deutschland: Theoretische Grundlagen, Zukunftsperspektiven und eine annotierte Literaturauswahl. Frankfurt am Main: IKO, 2005. 1-57.

Utler, Astrid und Alexander Thomas. „Critical Incidents und Kulturstandards“. Hrsg. Arne Weidemann, Jürgen Straub, Steffi Nothnagel. Wie lernt man interkulturelle Kompetenz: Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung. Bielefeld: Transcript, 2010. 317-329.

Xue, Dongyan. Zur Entwicklung eines kulturadäquaten Konzeptes für interkulturelle Trainings. Beispiel: interkulturelles Training für Chinesen zur Vorbereitung auf die Zusammenarbeit mit Deutschen. Dissertation. Regensburg: Universität Regensburg, 2003. 17.09.2014.

Weblinks

http://www2.uni-jena.de/philosophie/IWK-neu/typo3/fileadmin/team/juergen.bolten/interkulturelle_personalentwicklung_bolten.pdf

Übungstypen zum interkulturellen Lernen, Interculture TV.